Medien und Gesellschaft

Simon Maurer: Erleben wir mit der diesjährigen, von den Künstlerinnen und Künstlern selbst organisierten und jurierten „Kunstszene“ als Ergänzung zur üblichen, von den Ausstellungsinstituten getragenen oder unjurierten Form eine längst fällige Trendwende?

Felix Brunner: Das ist sehr schwer abzuschätzen. Eine Wende müssten die Kunstschaffenden selbst mit eigenen Initiativen herbeiführen. Das würde bedeuten, die Rolle des Künstlers zu hinterfragen, wegzukommen vom romantischen Bild des Künstlers als einem Genie hin zu Kunstschaffenden, die aktiv ins gesellschaftliche Leben eingreifen, mitdenken und mitgestalten und dadurch auch Verantwortung übernehmen. Künstlerinnen und Künstler als Organisierende von marktunabhängigen Ausstellungen, als Kuratorinnen oder Kuratoren, als Lehrende oder Kritiker(innen); Das war bisher in der Schweizer Kunstszene eher ein Tabu. Das Fehlen von Kunstakademien in der Schweiz hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass sich das tradierte romantische Künstler-Genie-Meister-Dogma länger hat halten können als in Ländern, die über Kunstakademien auf Universitätsniveau verfügen, an denen ein kritischer Diskurs gepflegt wird.

Worin liegt in Deiner Arbeit die Bedeutung des mediatisierten Blicks?

Wir begegnen im Zeitalter der ikonographischen Inflation tagtäglich auf verschiedenen „Kanälen“ zahllosen Bildern, die ausgewählt, verändert und in einen neuen Kontext gestellt worden sind. In meiner Arbeit untersuche ich diese Kontextverschiebungen, in der jeder „Kanal“ - ob es sich nun um ein Museum, um Zeitungsherausgeber oder Software-Hersteller handelt -seine eigene Ideologie bestätigt. Die visuellen Informationen sind somit nicht unabhängig, sondern haben ihren Wert in Beziehung zum Kontext, in dem sie erscheinen.

Wie empfindest Du die zunehmende Mediatisierung In der Gesellschaft?

Positiv gesprochen ist sie eine Bereicherung der Ausdrucksmöglichkeiten, eine Chance zur Erweiterung der Kommunikation und ermöglicht, in Bereichen zu forschen, die noch nicht ausgeleuchtet sind. Dass wir als soziale Menschen tatsächlich mit diesen Möglichkeiten umgehen, die Inhalte befragen und die Medien sinnvoll einsetzen können, bedingt eine kritische Auseinandersetzung mit Ihnen selbst und dem Kontext, in dem visuelle Informationen erscheinen.

Du bist eben von einem einjährigen Aufenthalt aus New York zurückgekehrt. Was sind für Dich die größten Unterschiede zu den Verhältnissen hier und in welchem Licht erscheint Dir vor diesem Hintergrund die diesjährige Weihnachtsausstellung?

In New York gibt es einige unabhängige Ausstellungsorte (White Columns, Exit Art, Alternative Museum, Artist Space usw.) wo Kunstschaffende Projekte eingeben und Ausstellungen selbst betreuen können. Es gibt das „Artist File“, eine Dokumentationsstelle über Künstler(innen), in der die Arbeiten auf Kleinbild-Dia archiviert und öffentlich zugänglich sind. Diese Informationsstelle wird regelmäßig auf den neusten Stand gebracht und rege besucht. Weiter gibt es die O.I.A. (Organization of Independent Artists); sie unterstützt Projekte von Künstler(innen) und vermittelt Ausstellungen. Nicht zuletzt sind die Kunstschaffenden an das Schreiben von Konzepten gewöhnt, weil sie aufgrund ihrer Projekte ausgewählt werden. In Zürich fehlen solche Infrastrukturen zum größten Teil, und die Fälligkeit, Konzepte zu schreiben ist nicht entwickelt.

Wenn dieses Manko analysiert und die Erfahrungen mit der dies jährigen "Kunstszene" ausgewertet werden, sehe ich darin einen Schritt weg von marktabhängig produzierenden Künstlerinnen und Kunstlern, weg von Ausstellungsmacher(innen), die möglichst etablierte Kunstschaffende zeigen, weg von Gesamtkunstwerk-Ausstellungsmacher(innen) - und hin zu kritischen Kunstschaffenden, die aktuelle Themen aufgreifen, Fragen zur Identität stellen, die Ideen visualisieren und diese dem Diskurs aussetzen.

Interview: Simon Maurer, 2002