Mnemosyne

Wiedererinnerung nannte es der berühmte Kunsthistoriker Aby Warburg. Erinnern Sie sich auch wieder im Angesicht dieser Bilder? Kommen Ihnen die Bilder vertraut vor? Meinen Sie den Typus zu kennen? Haben Sie sie auch schon gesehen, diese Zeichen, Drucktypen, Symbole?

«Was it a cat l saw» steht in seltsamen Ziffern auf der Einladungskarte - war es eine Katze, die ich sah, was war es überhaupt? Wir sehen die Buchstaben, erkennen ihre Bedeutung und erkennen sie auch nicht. Die Buchstaben haben sich an der Bruchstelle des Bildhorizontes, der gleichzeitig zwei Bilderteilt und zu einem Bild vereint, gespiegelt. Das «l» erscheint mit zwei «I-Punkten», das «T» mit zwei Querbalken. «Was it a cat l saw» spiegelt sich aber nicht nur in der Horizontalen, sondern auch in der Vertikalen - der Satz kann von hinten ebenso wie von vorne gelesen werden und bedeutet im reinen Buchstabensinn stets das Gleiche. Das Palindrom, wie diese kunstvolle, antike Figur heisst, ist eine der liebsten Spiel- und Experimentalformen von Felix Brunner. «Relief-Pfeiler» weist dieselben Eigenschaften auf, Sprachtüftler haben aber noch viel längere Palindrome geschaffen wie zum Beispiel «Die Liebe ist Sieger - rege ist sie bei Leid».

 

Das Spiel mit den Zeichen ist eines der Kennzeichen von Felix Brunner. Als Künstler ist er zwar eher ein Lehrer der Zeichen als ein Zeichenlehrer, was er aber auch ist. Felix Brunner betreibt mit seinen Arbeiten eigentliche Bildforschung, auf der Zeichen-, auf der Symbol- und auf der Bildebene.

«Was war es überhaupt, das ich sah?» Die erinnerte Erinnerung, das erinnerte Bild, die Wiedererinnerung? Oft sind es Pressebilder, die Felix Brunner als Grundlage seiner Reise ins Innere des Bildes und der Bildsprache - wörtlich und im übertragenen Sinne -verwendet. Gerastert, aufgelöst, verfremdet erscheinen Bildteile und Bildausschnitte. Sie erinnern uns und tun dies gleich auch wieder nicht, weil sie von Felix Brunner systematisch zerlegt werden. Es entsteht eine Uneindeutigkeit, die sich in der stets von neuem überarbeiteten Bildfläche auch durch die sich auflösende Farbe manifestiert. Die Farbe, das Bild verschwimmen, während die Schriftzeichen so scharf wie aus der typographischen Presse ausgestanzt erscheinen.

Die Buchstaben und Zeichen vermitteln Botschaften, doch diese inhaltlich zu entziffern fällt ebenso schwer wie es das genaue Erkennen der verwendeten Pressebilder tut. Die Zerstörung des Bildes bzw. die Zerstörung einer Eindeutigkeit und Erkennbarkeit gehört zu den Bildstrategien von Felix Brunner. Die Qualität des Farbauftrages dagegen ist von auffallender Sorgfalt, steter Wiederbearbeitung und Überarbeitung geprägt.

Dabei folgt die Konzeption des Bildes einem Muster wie es politische Erfahrungen mit sich bringen. Die Klarheit der Botschaft korrespondiert nicht notwendig mit der Intention. Botschaft und Inhalt sind nicht identisch, ja widersprechen sich nahezu, schließen sich gegenseitig aus, vernebeln den Geist und lassen uns den Gehalt übersehen.

«l don't care», es ist mir egal, ein politisches Bild der burmesischen Freiheitskämpferin An Saung Suu, die gerade das Gegenteil von dem verkörpert, was als Botschaft postuliert wird. Der Bildersturm, die Zerstörung des Bildes ist ein Thema von Felix Brunner. Paradoxerweise wird dieses im real geschaffenen Bild manifest - als Zerstörung von dem, was unser Vorstellungsbild uns eingibt. In diesem Sinne sind auch die sogenannten «Birkenbilder» von hoher Künstlichkeit. Sie suggerieren eine Textur, die uns an die Oberfläche einer Birke erinnern, und sie wirken als Zeichensystem für das, was wir mit Natur ansprechen würden. Gleichzeitig erscheint im Hintergrund eine Computertomographie, was wir generell wohl eher mit Virtualität und Artifizialität gleichsetzen würden und mit Erstaunen feststellen, wie organisch uns die Sache erscheint.

Die Arbeit mit Antagonismen, mit Widerspruch und Gegensatz, mit Ambivalenz, Zweideutigkeit und Uneindeutigkeit ist wohl die prägendste Komponente im Schaffen des 50-jährigen Basler Künstlers. Der Rückgriff bzw. die Auseinandersetzung mit der Geistesgeschichte, der Literatur, der Kunst- und politischen Geschichte ist ein wichtiges Anliegen. Felix Brunner erinnert an das berühmte Pissoir von Marcel Duchamp, an Andy Warhol oder an das schwarze Quadrat des Russen Kasimir Malewitsch, an Bertold Brecht, Lewis Caroll oder an Euklid, aber die Erinnerung hat nicht die Komponente des Nachahmens, sondern diejenige der kommentierten Aneignung. Felix Brunner erinnert sich, um uns zu erinnern.

Vernissage-Rede: Elisabeth Dalucas, 2002