Verlangsamung

Der Maler Felix Brunner bedient sich von der Frottage über die Fotokopie bis zum Computer verschiedenster Reproduktionsmöglichkeiten von Bildern und malt, was er durch sie findet, von Hand. In der Verlangsamung liegt eine Reflexionsmöglichkeit über die Wirklichkeit der Bilder.

Gehen wir aus einem Zuschauerraum mitten durch die Scheinwerferkegel hinter die Bühne und schauen dann nach vorn ins Leben zurück. Was wäre von dort zu sehen? Jenseits des Bühnenlichtes wären die Farben gedämpft. Das Reale würde wie eine Chimäre entgleiten. Alles Sichtbare läge in einer einzigen, nicht leicht eingrenzbaren Zone. Einen vergleichbaren Eindruck erwecken Felix Brunners neueste Bilder. „0rphée“ hat er auf zwei Leinwände geschrieben. Wer aus der Totenwelt zurückblickt, sieht die Turbulenzen des Lebens aus Distanz. Bilder kommen und gehen. Richtig greifbar werden sie nicht. Vergangenheit und Gegenwart fallen auf merkwürdige Weise zusammen in ein Staccato von Augenblicken.

Felix Brunner schöpft sein Material aus Zeitungen, Büchern, Filmstills und den grafischen Möglichkeiten des Computers, er bricht ihre Zeichenhaftigkeit auf und spielt mit unerwarteten Assoziationen. Da lag beispielsweise Robert de Niro auf einem Filmstill aus einem Boxfilm Scorseses mit ausgebreiteten Armen in den Seilen des Rings wie ein leidender Christus. Die Perspektive der Kamera und die Fältelung des Stoffes hatten den Markentitel seiner Sporthose „Ever last“ zu „Eve“ verkürzt. Für einen Moment waren zwei Vorstellungsbilder durch den Zufall zu einer bedeutsamen Konstellation, zu einer semantischen Form zusammengeführt worden, auf welche das englische „eve“ im Sinn des Vorabends auch noch verweist. Brunner hat diese Konstellation mit Abdeckungen des Motivs hervorgehoben und das Wort dann weiterverwendet und in verschiedenen Schrifttypen auf eine Leinwand gemalt. Jede Typografie weckt spezifische Assoziationen, die sich gegenseitig verstärken, korrigieren und auflösen. Bedeutung wird da zu einem semantischen Flimmern zwischen Fraktur- und Playboy-Schrift.

Ein solch loses Gespinst von Assoziationen kann nicht von Dauer sein. Felix Brunner will denn auch Territorien sichtbar machen, nicht aber sie besetzen. Über die Pferde der Bierdeckel einer landesbekannten Brauerei hat er die Buchstaben „TRIOY“ gemalt. Verstümmelt ist darin „territory“ enthalten, aber auch Troia, die versunkene, die mythische Stadt klingt in der Lautfolge an. Felix Brunner sucht den Augenblick, in dem Bedeutungen sich verwandeln, und verschleiert sie wieder, bevor sie recht greifbar werden. Seine Bilder erinnern ein bisschen an Platos Höhlengleichnis. Nur sind dem Maler von heute die idealen Formen längst abhandengekommen. Aber eine Sehnsucht nach ihren Schatten gesteht er sich zu.

Text in Kunstbulletin: Gerhard Mack, 1997